Samstag, 29. November 2008
Gloria Estefan und der Kaffee-Experte
Die Stimme des Fisherman Franka lässt den Raum erbeben! Die Enden des modisch gemusterten Teppichs kringeln sich diabolisch in alle Richtungen und die Wohnzimmerlampe ragt gefährlich aus der Decke – bedrohlich wie ein Knabberstab in einem Wellensittich-Käfig.
„Dieses Amulett, Sandro!“, er zeigt mit dem knöchrigen Zeigefinger auf Sandros Brust. „Dieses Amulett besitzt folgende magische Kraft!“ Sandro macht große Augen und kann es kaum erwarten. Er möchte endlich wissen, was das Ding macht. „Dieses Amulett, Sandro, verleiht dir die Kraft, Tote zu sehen und mit ihnen zu kommunizieren! Sie sind überall! Sie umgeben uns und leben parallel zu unserer Welt, sozusagen mitten unter uns. Diese beiden Welten sind ineinander verhakt, greifen ineinander, ja, sie überlappen sich quasi. Aber nur die Toten besitzen die Fähigkeit und die Technologie, uns niedere Menschen regelmäßig zu beobachten. Sie hängen noch an dieser Welt - und ich möchte, dass du auf eine Reise gehst. Du sollst etwas für mich erledigen. Ich bin zu alt und gebrechlich! Ich würde es nicht mehr überstehen – aber du bist noch jung und fit mit deinen 64 Jahren. Willst du einen Lutscher?“
Sandro glotzt doof. „Was erzählst du da für eine Scheiße? Willst du mich verarschen? Ist das hier die Comedy-Falle? Wo ist Kai Pflaume jetzt?“ Er glaubt es einfach nicht. So ein ungezogener Junge. Sandro glaubt ja sonst jeden Scheiß – sogar, dass Frauentausch ungeskriptet ist – aber das hier jetzt, das ist der absolute Knaller, meine verdammte Güte!
„Du Narr!“, Fisherman Franka haut jetzt auf den Tisch. Knochen knacken unter Fleisch. Das Licht flackert gespenstig. Wände schlagen Wellen. Hinter der Wohnzimmerwand laicht ein Aal. Gloria Estefan ertönt aus dem Radio. „Ist es zu fassen? IST ES ZU FASSEN?! Du wirst es selbst sehen! Komm mit mir auf den Balkon, Bürschchen!“ Sandro folgt seinem Vater, dieser reicht ihm das Fernglas. „Schau hindurch und blicke auf die Rutsche dort unten auf dem Kinderspielplatz.“ Sandro tut augenblicklich wie ihm befohlen.
„Boaaaaaaah, eh!“ Seine Augen schießen ca. 37 cm aus den Augenhöhlen heraus. Er muss deshalb das Fernglas weiter weg halten. „Was zur Hölle?!“. Sandro setzt das Glas ab und fällt auf die Knie! „Na, was hast du gesehen?“, fragt sein Vater ihn leicht amüsiert. „Ich habe Tauben gesehen… aber sie leben. Ich habe sie doch ermordet! Sie kleben auf der Rutsche. Aber sie stehen dort halbtransparent rum und halten eine Art Konferenz. Ich habe es an ihren Schnäbeln gesehen. Sie diskutieren angeregt.“
Fisherman Franka tätschelt Sandro auf den Kopf. „Ja, Sandro. Dies ist die Konferenz der toten Tauben. Sie verharren dort des Nachts, wo du sie einst erschossen hast. Sie beraten sich und planen eine Racheaktion. Sie wollen Vergeltung, dir weh tun, dich kaputt machen – vor allem psychisch. Sie haben sogar schon deinen Balkon zugeschissen. Aber der Kot von Geistertauben ist Geisterkot. Du siehst ihn nur mit dem Amulett. Wenn du morgen auf deinen Balkon gehst, wirst du ihn erblicken. Aber sie planen etwas Größeres. Sie wollen dir das Leben schwer machen – jedoch keine Angst. Sie können dir nichts. Alles in allem sind sie nur kleine Vögelchen!“
„Da bin ich beruhigt, Daddy! Aber nun glaube ich dir! Mein Gott, es ist so mächtig, Daddy! Was soll ich tun? Welche Aufgabe soll ich für dich erledigen? So sprich zu mir, Daddy. Sage mir.“ Sandro ist total außer sich. Der Schweiß sprießt aus seinen Poren – so als wären unter seiner Haut lauter Mini-Wasserpistolen. Es sieht ziemlich bekloppt aus - man muss sich das mal vorstellen! Er wirkt in diesem Moment hilflos, klein und unwichtig. Aber er ist dabei so wichtig. Ach, das Leben ist so verdammt kompliziert! Sandro ist ein total wichtiger Mensch!
„Komm rein, Sohn. Du erfährst es gleich. Ich mach uns noch einen Kaffee und dann schnacken wir über deine neue Aufgabe. Bleib erstmal locker. Mach dich lässig. Bleib geschmeidig, alter Falter. Ruhig Blut. Easy, easy. Keep cool und Kopf hoch! Du brauchst jetzt einen kühlen Verstand, sonst platzt dir dein hübscher Kopf!“ Fisherman Franka kickt den immer noch knienden Sandro durch die Balkontür in die Stube. Das kann er gut. Er war mal Bundesliga-Fußballer – dazu später mehr. Und wie der Sandro da so ins Warme rollt, die Fußballstellung aufgibt und auf dem Sofa Platz nimmt, begibt sich sein Vater in die Küche, um den versprochenen Kaffee gekonnt zu kochen.
Der aufmerksame Leser wird sich nun sicherlich fragen, wieso Fisherman Franka den Kaffee kocht, wo er doch Vaginalia Sozialistica zuvor zum Teekochen schickte. Die Sache ist die: Fisherman Franka ist ein Kaffeekocher par excellence und lässt sich da nicht reinreden. Er weiß, wie er am besten Kaffee kochen kann, da er zum Teil auch Kolumbianer ist. Sein Vater brachte es ihm bei, als er noch ein kleiner Bub war. Wenn ihm jemand in den Kaffeekoch-Prozess reinredet oder ihm sagen will, wie er etwas verbessern könnte, wird er fuchsteufelswild und ohrfeigt um sich. Vaginalia Sozialistica ist lediglich Teekoch-Expertin – sie hat sogar eine eigene Kochshow auf DMAX (kommt immer gleich nach den Ludolfs).
Sandro nimmt das Amulett in die Hand und schaut es sich an. Er spürt die Hitze, die es ausstrahlt. „Du kleines Ding, du. Du wirst wohl mein Leben verändern.“ Er weint. Und er lacht. Aber er weint. Hach, man weiß es nicht, was er macht. Er weiß es selbst nicht. Es ist für einen Schriftsteller schwer zu beschreiben. Versucht es euch vorzustellen. Diese wirren Gefühle. Dieses Ich-weiß-nicht-was-ich-denken-und-fühlen-soll.
Diese KRAFT! Diese Magie, die in der Luft liegt. Ein explosives Gemisch aus Liebe und Angst. Sandro knabbert ein paar Körner von der Deckenlampe und zwitschert wie ein Wellensittich vor sich hin. Für einen Moment denkt er, wirklich ein Federkleid zu besitzen. Er wackelt mit dem Kopf von links nach rechts, schnabuliert unter seinen Armen und fliegt los – doch als er mit seinem Schwabbelbauch auf dem modisch gemusterten Teppich des Fisherman Franka landet, spürt er, dass er nur ein Mensch ist. Auf dem Bauch liegend zwitschert er weiter. Die Nummer muss er jetzt durchziehen, sonst ist es peinlich. Er erwartet in Kürze seinen Kaffee. Vaginalia Sozialistica kommt mit einem Affenzahn um die Ecke gesaust und milchtrampelt das Sofakissen.
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