Donnerstag, 2. September 2010

Die Griesgrämige

"Ist ja ein Scheißtag heute!" Ich rupfe mir vorm Spiegel durchs Haar und mustere meine vom gar bitterlichen Heulen geröteten Augen. Ich schau mir tief in selbige.. und auch darunter. Ja, da sind sie.. zwei Tränensäcke voller Herzschmerz - das ist es, was ein Mann braucht. Da legt er erst richtig los. Dafür gibt es dann abends zwei oder drei Bierchen als Trost und er pennt betäubt ein. Die Welt ist schön, die Welt ist gut - doch dann, dann kommt das Regelblut. Ich reime vorm Spiegel. Was bin ich bloß für ein Hecht? Wie Goethe.. nur mit Schuppen. Gleich mal ein Bierchen, was? Ich hechte (bin ja ein Hecht), nur in Unterhose bekleidet und in bester Bumm-Bumm-Boris-Manier zum Kühlschrank, reiß ihn auf.. eine Flasche steht dort ganz einsam und friert vor sich hin. Die braucht Gesellschaft, denk ich mir.. und kleide mich zivilisiert, um den Kiosk meines Vertrauens zu besuchen.

Der ist gleich um die Ecke. Es regnet auch noch - also passt doch alles super, oder? Elegant spannt sich mein olive-farbener Super-Knirps(tm) über meinem Schädel auf und beschützt mein Haar. Das kann er gut, dafür hab ich ihn gekauft! Der Kiosk meines Vertrauens rückt immer näher. Welche Verkäuferin wohl heute in ihm sitzt? Hoffentlich wieder die Nette. Aber die weiß immer schon sofort, welche Tabaksorte ich will. Schon beim bloßen Anblick meiner Depri-Fresse bahnt sich ihre quallige Schwabbelpfote den Weg zum feinsten Low-Budget-Red-Bull-Halbschwarz-Kraut. Das ist mir dann immer peinlich. Sehe ich etwa nicht aus wie ein feiner Pfeifenraucher? Oder zumindest Zigarre?

Heute ist eine andere da. "Die Griesgrämige" nenne ich sie immer. Sie schaut stets wie ein missmutiges Bernhardiner-Weibchen - nur beim Abschied ist sie relativ freundlich. "Zweimal Gaffel bitte.... uuuuuuuuuuuund.. (ich mache innerlich Trommelwirbel).. einmal Red Bull Halbschwarz Tabak bitte!", tönt es positiv und voller Lebenskraft aus meinem verrauchten Schlund. Je schlechter es anderen Menschen geht, desto besser geht es mir. Das ist voll komisch.

Tief hinten, in der Ecke ihres Kabuffs leuchtet eine fischbauchweiße Stirn auf. Ich fühle mich beobachtet, denn unter dieser Stirn funkeln tote Augen. Es ist scheinbar ihr Ehemann. Läuft es nicht mehr so gut? Oder bedient er sich im Kiosk freihändig aus dem Bierschrank? Er fixiert mich regelrecht mit seinem Blick. Er schaut düster - aber auch irgendwie apathisch. Gruselig! Ich denke sofort, ob es an meinem Haar oder an meinen von Herzschmerz gefüllten Tränensäcken liegt. Dabei habe ich doch versucht, möglichst lebensfroh und munter zu wirken. Hat er mich etwa durchschaut?

Die Griesgrämige stellt mir die Flaschen und legt den Tabak auf die Theke. Ich packe beides gierig in meine Taschequer - so nenne ich diese Umhängetaschen, die normal nur die coolen Twens bzw. Studenten haben. Ich habe eine in Braun.. die hat mir meine Ex-Ex ungefähr zum Zeitpunkt des Schlussmachens mit mir mal empfohlen. Das war so 2006. Ich kaufte sie damals in der Hoffnung, sie wieder damit rumzukriegen.. also damit ich chic ausssehe. Dass ich etwas an mir trage, was sie total toll findet. Leider kam sie nie mehr vorbei, um mich damit sehen zu können. Das hätte es wohl nochmal gebracht! "Deine Umhängetasche ist so geil! Komm schlaf mit mir! Jetzt! Und lass die Tasche um!" Tja, das Leben ist kein Quatschfilm, bei dem Helge Schneider Regie führt. Schade eigentlich.

Der Alte fixiert mich noch immer mit seinem Blick. Bestimmt denkt er nun "Der Säufer. Zwei Biere kaufen. Sowas haben wir gerne! Willkommen im Club." - oder "Dich kriegen wir auch noch, du Jungspund. Noch tönst du!" - oder auch "Schon wieder der."

Seine Griesgrämige sucht bereits das Wechselgeld zusammen. Und, liebe Leute, hier entscheidet man nun zwischen GVSV (Gute Verkäufer, schlechte Verkäufer): Legt sie das Wechselgeld auf die Hartplasteschale oder streichelt sie es mir in die Hand. Wobei man beim In-die-Hand-geben auch nochmal einen Unterschied macht.

a) Sie wirft es mir aus ca. 5-10 cm Höhe in die offene Hand
b) Sie drückt es mir in die Hand
c) Sie drückt es mir in die Hand und fährt mit ihren Fingern meinen Unterarm hoch.
d) Sie drückt es mir in die Hand und greift meine Hand, will mich über die Theke ziehen.

Gar nicht geht Folgendes: Sie legt es in die eigentlich dafür vorgesehene Hartplasteschale. Und überhaupt so gar nicht geht dies: Sie wirft es aus 5 Metern in die dafür vorgesehene Hartplasteschale. Meist strecke ich schon vorab meine Hand aus, so dass sie gar nicht anders kann, als es mir in die Hand zu geben oder werfen. Das ist für mich stets eine akzeptable und menschliche Lösung. Somit werde ich nicht emotional verletzt. In sowas bin ich nämlich gut. Aber so ein In-die-Hand-geben.. ich denke dann, dass sie die Berührung oder meine körperliche Nähe braucht. Kein Wunder, bei dem Alten auf dem Stuhl neben ihr. Sie entscheidet sich für den 5-cm-Wurf in die Hand. Ein kluger Schachzug. Hier kaufe ich bestimmt wieder ein.

Ok, ich verabschiede mich und latsch nach Haus.
So schnell kann alles zu Ende gehen.
Tränensäcke wissen das.

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