Samstag, 25. Oktober 2008

Das agile Mini-Foto




Das kleine runde Objekt zappelt in Fisherman Frankas knorrigen Händen, als wäre es ein kleiner Fisch, der um sein Leben rennt. Das Objekt ist jedoch aus Metall und nicht organisch. Es kann eigentlich nicht zappeln, aber Fisherman Franka hat eine Krankheit, wo er immer zittert. Das kleine runde Objekt hängt an einer feingliedrigen, edlen Kette aus purem Plaste! Auf der Rückseite ist ein kleines Etikett: „VEB Hüttenkombinat Karl-Marx-Stadt – Made in GDR, 1967“. Sandro schnappt das Ding frech und betrachtet es. Er begutachtet es von allen Seiten. Dabei guckt er wie ein Archäologe, der Ahnung von irgendwas hat. Oder wie so ein Weinkenner, der seinen Mund komisch bewegt, um den Eindruck zu erwecken, er kenne sich total gut aus.

Fisherman Franka stiert ihn voller Erwartung an. Speichel rinnt ihm brutal aus beiden Wangen und landet auf den Kniescheiben. Von dort bahnt er sich seinen Weg hinab und klatscht auf den Fußboden. Hier ätzt er sofort ein Loch und fällt in das darunterliegende Geschoss. Und das geht immer so weiter – bis in den Keller. Dort kriegt Tom Hanks (Widersacher von Indiana Jones!) den Speichel auf den Kopf und sein Gesicht wird für immer entstellt. Er wird von nun an keine Rollen mehr bekommen, weil er so hässlich aussieht. Vielleicht wäre aber ein zweiter Teil von „Die Maske“ möglich – er müsste mal Pop-Queen Cher fragen.

„Ich habe es geschenkt bekommen – von deiner Mutter. Es war das Abschiedsgeschenk. Ich sollte es um den Hals tragen – aber ich bekam kurz danach eine neue Frau und da habe ich es verstecken müssen. Auch vor den NAZIS! Es ist ein besonderer Umhänger. Du kannst es aufknippsen. Innen ist etwas.“ Sandro fuchtelt am Ding rum und lässt sich von seinem Vater helfen. Das kleine, runde Ding schnappt auf. Es zeigt ein Foto, ein Mini-Foto! Es ist ziemlich klein, will ich damit sagen.

Auf dem Foto sieht man eine ca. 40-jährige Frau mit Stirnband. Sie hat Hippie-Haare und zeigt das Peace-Zeichen mit ihrer Hand in die Kamera. Daneben steht ein ca. 50-jähriger Mann, der auch PEACE macht. Beide grinsen um die Wette wie Honig-Kuchenpferde. „Ja, das bin ich – der Typ da.“, grient Fisherman Franka Sandro stolz wie Oskar von der Seite an. Dieser nickt und schaut sich das Foto genauer an. Im Hintergrund sieht er einen bunt angemalten Volkswagen-Bus. „Cool!“, ruft Sandro aus und macht Brumm-Brumm-Geräusche. In der Fahrerkabine kann er erkennen, wie Jimi Henrix sich von Steppenwolf einen blasen lässt. Ja, das war damals die Zeit. So ging es ab. Auf dem Foto erkennt Sandro noch eine grüne Wiese, die Sonne und…

„Was ist denn das hier?“ Fisherman Franka beugt sich vor, um auf Sandros Frage einzugehen. „Ja, Sandro! Das ist das Geheimnis dieses Halsbands. Es ist ein Clown. Ich weiß nicht, wer er ist. Ich habe ihn damals nicht gesehen, als das Foto gemacht wurde.“ Auf dem Foto ist ein Clown abgebildet. Er sieht scheußlich aus. Er steht am hinteren Teil des VW-Busses angelehnt und zeigt den Mittelfinger – eine ordinäre Geste, die so gar nicht zur friedvollen Stimmung im Foto passt. Obwohl damals ja alles revolutionär war. Da zeigte man auch mal den Mittelfinger. Aber im Foto war eigentlich nur die Liebe und Zufriedenheit. Der Clown ist kein Hippie.

Plötzlich bewegt sich das Bild. Alles wirkt dynamisch! Die Grashalme flattern im Wind. Die Wolken ziehen vorbei. Man kann ganz leise auch den Wind rauschen hören und wie Jimi Hendrix stöhnt und „Yeah, oh yeah, Foxy Lady!" sagt. Der Clown begibt sich auf alle Viere und nähert sich. Er läuft so weit nach vorne, dass er am unteren Rand des Mini-Fotos verschwindet. Dann plötzlich kommt er mit seinem Kopf von unten hochgeschossen und blickt mit seiner scheußlichen Fratze aus dem Foto heraus. Er presst seine pralle, rote Nase gegen die kleine Glaswand vor dem Foto. Es wirkt so, als wäre es ein blutgefüllter Luftballon! Er grunzt und lacht. „Hihi, hoho, haha! Kommt mit! Hier ist es schöööööööön! Lasst uns fliehehehehehegen!“ Sandro wirft die Halskette Richtung Wohnzimmerwand! „Aaaaaaah!“, ruft er intensiv aus. Seine Frisur ist auch hin, denn das Haar steht ihm zu Berge. Fisherman Franka hält sich ein Kissen vors Gesicht. In diesem Moment wirkt er wie eine Tucke.

Plötzlich klopft es an der Küchentür! Fisherman Franka stapft langsam zur Tür. Wer mag wohl klopfen? Klopft es nicht eher an der Haustür? Wer zum Teufel bittet von der Küche aus um Einlass? Was ist das für eine irre Situation? Die Katze kann es nicht sein. Sie ist auf dem Klo und scheißt womöglich wieder quadratmetergroße Haufen. Fisherman Frankas zittrige Hand zittert sich langsam dem Küchentürknauf. Eine dramatische Orgelmusik ertönt in der Wohnstube. Sandro schaut ängstlich. Er macht sich fast in die Hose. Die zittrige Hand seines Vaters nähert sich weiter dem Türknauf. Es klopft erneut gegen die Küchentüre. Die Hand ist nur noch wenige Millimeter vom Knauf entfernt. Nun greift sie den Knauf, dreht ihn, öffnet die Tür langsam. Das Küchenlicht dringt durch den Spalt. Der Lichtstreif fällt auf den Wohnstubenteppich. Er wird breiter und breiter. Die Tür öffnet sich immer weiter. Die Katze scharrt im Katzenklo. Sandros Haar steht zu Berge. Fisherman Frankas Hose wird nun nass. Die Tür ist offen. Vor ihm steht ein Mann mit Brille. „Ein Brillenträger!“, denkt Fisherman Franka. Er sieht nicht so gut aus. „Gestatten, mein Name ist Stephen King und ich kam durch den Backofen. Ich habe soeben mitbekommen, dass Sie hier meine Ideen klauen! Das finde ich nicht schön und bitte Sie darum, es zu lassen. Auf Nimmerwiedersehen!“ Stephen King spannt seinen Regenschirm auf und fliegt durchs Fenster nach draußen in den Nachthimmel. So entschwindet er, um an einem weiteren Roman zu schreiben, der wohl wieder nur mittelmäßig verfilmt wird – aber das ist ihm egal, solange er einen kleinen Cameo-Auftritt haben darf – zB als Postbote oder Müllmann.

„Fuck Stephen King! Jedenfalls, trage das Halsband von nun an, Sandro. Es hat magische Kräfte.“ Fisherman Franka hebt die Kette auf und legt sie Sandro in feierlicher Manier um. „Hübsch siehst du damit aus, mein Sohn.“, schmunzelt er und tätschelt Sandro väterlich am Bein. Sandro lächelt sohnhaft zurück und fragt: „Welches magische Geheimnis verbirgt sich hinter dieser Kette, oh Vater?“

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