Samstag, 25. Oktober 2008
Erich Honecker
Sandro und sein Vater wandern durch den Flur in die gute Stube. Es mieft nahezu unerträglich – aber das liegt am Katzenklo. Quadratmetergroße Katzenscheißehaufen türmen sich und sondern ihre giftigen Dämpfe in die 60-qm-Bude ab. Das mickrige Katzenstreu vermag es nicht zu bedecken. Vaginalia Sozialistica hat deshalb einfach ein paar Modern-Talking-CDs drübergelegt. Aber die verstärken nur den unglaublichen Gestank! An einer Wand im Flur hängt ein Poster von Marcel Reich-Ranicki. „Ich bewundere ihn. Er ist ein großer Mann. Er findet den Mainstream scheiße – so wie ich.“, klärt Fisherman Franka seinen Sohn auf. Daneben hängt Erich Honecker. Aber nicht als Bild sondern in echt. Also als Figur… als modifizierte Barbie-Puppe am Strick. „Du hasst Erich Honecker, Papa?“ Sandro schaut erstaunt.
„Ich hasse ihn nicht. Aber ich mag ihn auch nicht unbedingt, Sohnemann. Er hatte eine Idee. Aber er hat sich verrannt! Kommunismus ist gut, sicherlich. Jedenfalls besser als dieser Kapitalismus. Du hast es doch mitbekommen. Seit der Wende. Der Rachen des Kapitalismus klappt immer weiter auf. Schleimig, gierig. Er verschlingt alles. Nicht jeder ist mit dem Erfolgs-Gen zur Welt gekommen, Sandro. Die werden gnadenlos verschlungen. Es ist eine unmenschliche Welt. Aber Erich Honecker wollte den Kommunismus mit Kontrolle erreichen. Das ist nicht gut. Klar, man muss schon auch kontrollieren. Aber es engt im Endeffekt ein, wenn man es übertreibt. Meine Katze steht für den Sozialismus. Das bedeutet nicht unbedingt, dass es allen gleich gut gehen muss. Es soll faire Bedingungen schaffen. Jeder Mensch muss sich schon anstrengen, um zu zeigen, dass er etwas in diese Welt einbringen kann. Aber jeder Mensch kommt aus einer anderen Umgebung. Nicht jeder Mensch – auch wenn er es noch so gut meint – mag das Gleiche mit dem gleichen Aufwand zu erreichen. Meine Katze hat den Dreh raus. Schau sie dir an. Sie hat fünf verfickte Arme! Sie hat den Kapitalismus am Körper. Sie krallt sich alles, wenn sie will. Sie hat die Möglichkeiten. Aber nur, weil sie modifiziert wurde! Das ist das Unfaire am Leben. Kein Mensch wächst wie der andere auf. So entstehen Feindseligkeiten. Ich hatte mal eine Frau – nach deiner Mutter. Sie wuchs in deutlich besseren Verhältnissen auf. Aber es klappte nicht. Sie kam aus einer anderen Welt. Man liebte sich, klaro! Aber sie warf mir Dinge vor, für die ich nichts konnte. Wir trennten uns. Es war so schmerzhaft. Ich habe lange gelitten, Sandro. Sehr lange. Aber scheiß doch drauf, ich brauche einen Tee! Vaginalia Sozialistica, spute dich!“
Es miaut aus dem Küchenraum. Dann Getappse, dann Gekratze. Dann kommt die Katze mit einem Tablett in die Stube und serviert das Gesöff. „Und nun zum Karton, Sandro.“
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