Samstag, 25. Oktober 2008
Die heilige Karte der Vera
Fisherman Franka schlägt die pappigen Klappen des Kartons zur Seite. „Paps, setz doch deine Kapuze ab. Du siehst ja kaum etwas.“ Doch Fisherman Franka hält den Zeigefinger vor Sandros Mund, damit dieser erstummen möge. „Eh eh eh! Diese Kapuze muss ich aufhaben, damit das alles mysteriöser wirkt. Es ist außerdem eine Huldigung an den Imperator aus Krieg Der Sterne.“ Dann senkt er seinen Kopf, um sich auf den sagenhaften Inhalt des Kartons zu konzentrieren. „Bescheuert…“, nuschelt Sandro in sich hinein. Flugs hat er eine Ohrfeige von seinem Vater erhalten. „DIS-ZI-PLIN!“ Ja, die fehlt dem Sandro in der Tat. Er hatte keine Vaterfigur in seinem Haushalt. All sein Leben lang. Er wuchs nur mit Frauen auf. Die fehlende, strenge Hand fehlt ihm. Niemand war da, der mit ihm mal in den Wald Wildschweine erlegen ging. Niemand war da, der ihn abends bei der Sportschau auf den Schoß nahm und aus der Bierflasche trinken ließ. Niemand, der ihm Rülpsen, Grunzen und Furzen mit Stil beibrachte. Niemand war da, der ihm auch nur einen Hauch von Gewaltbereitschaft demonstrieren konnte. Nichts dergleichen. Stattdessen immer nur Eierlikör. Eierlikör ohne Ende. Und Kuchen! Da muss man doch schwul werden!!
Fisherman Franka greift in den Karton. Er zieht einen flachen Gegenstand hervor. Es ist eine Karte. Eine Ansichtskarte? Auf der Vorderseite erkennt Sandro eine mysteriöse, dicke Frau. Sie hat dunkles Haar, leicht gelockt. Sie lächelt. Darunter steht mit schwarzem Edding etwas geschrieben. Geheimnisvoll! „Was… was… was zur Hölle ist das, Papa?“ Die Spannung knistert und ist kaum noch zu ertragen. Sie legt sich wie zittriges Backpapier über die Situation.
„Dies ist die Autogrammkarte der famosen Vera Int-Veen. Ich habe sie 1998 erhalten. Ich war in einer ihrer Talk-Shows. Das Thema war: Hauskatzen. Ohne Scheiß! Es war für mich ein großartiges Erlebnis. Es standen viele Waschmaschinen im Hintergrund – so als Kulisse. In diesen Waschmaschinen waren Kameras versteckt, die das Publikum filmen sollten. Vera ist eine wirklich sehr lockere Person. Sie schert sich nicht um ihr Gewicht! Sie ist einfach nur ganz die Frau. Ein Vollweib! Diese Autogrammkarte befindet sich in dem Karton, weil sie einer meiner größten Schätze ist.“ Sandro rollt mit den Augen. Auch diese negative Eigenschaft hat durch die weibliche Eierlikör-Erziehung vermittelt bekommen. „Was ist daran so kostbar?“
Fisherman Franka schaut düster unter seiner Kapuze hervor. Nun sieht er tatsächlich wie der Imperator aus. Auch mit den Falten, und so. Man muss bedenken, dass er nun auch schon 104 Jahre alt ist. Botox hat er nie gebraucht – dafür ist er zu eitel. „Es ging in der Sendung um Katzen. Ich wollte mehr erfahren. Ich war ein Gast und trat mit Vaginalia Sozialistica dort auf. Es wurde jedoch nicht ausgestrahlt. Sie haben mich rausgeschnitten. Es hätte einen Volksaufstand gegeben. Außerdem, stell dir mal vor, was der WWF oder Greenpeace gemacht hätten. Die hätten mich getötet! Aber Vera Int-Veen brachte Verständnis auf. Sie ist die deutsche Oprah Winfrey. Nur weiß!“ Das Licht flackert. Eine Türe knarrt. Der Wasserhahn im Bad geht an und aus. Die Kanten des Teppichs rollen sich leicht nach oben. Die Teelöffel verknoten sich. Der Tisch scheint zu schweben. Uri Geller guckt durch die Fensterscheibe. Er friert.
„Ich habe es damals genossen! Beim Schwanze einer Maus, ja, das habe ich!“ Sandro schaut jetzt total überrascht, weil er nicht glaubt, was er soeben gehört hat! Seines Vaters Katze kann sprechen! Vaginalia Sozialistica sitzt selbstgefällig neben ihnen und leckt sich die Hände. Sie schaut zufrieden – ihre Augen sind grüne Schlitze. „Und nun entschuldigt mich – ich muss austreten.“ Die Katze verlässt die Stube auf höchst ungewohnte Weise. Sie läuft auf zwei Händen: die an der Stirn und die an der unaussprechlichen Körperregion. Es sieht total zum Schießen aus! Doch Sandro hat sein Luftgewehr auf seinem Balkon liegen lassen. Deshalb wirft er ihr nur eine Erdnuss aus der Schale hinterher.
„Nun denn! Kommen wir zum nächsten Objekt im Karton!“, spricht Fisherman Franka und legt die Autogrammkarte behutsam auf die Tischdecke. Dann greift er erneut in den Pappwürfel und holt ein kleines, rundes Objekt heraus.
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